Wie Melina Sophie in die Predigt kam, oder: Die Kunst eine Gelegenheit beim Schopf zu packen

Eigentlich sollte der Gottesdienst am 24.1. ein ganz normaler Gottesdienst werden. Eigentlich. Am Ende wurde daraus eine Fusion aus agendarischem („traditionellem“) Gottesdienst und Jugendgottesdienst. Die Konfirmanden hatten in der Predigt einen WTF-Moment und der älteren Kundschaft hats auch gefallen.

Mitten im Examen sollte man sich eigentlich (← schon wieder dieses Wort😁) keine Extra-Arbeit aufladen, aber ich tue ja, was ich kann. Durch die Mobilitätsschwierigkeiten in meiner ländlichen Gemeinde traf es sich, dass eine Jugendliche nicht zum Nachtreffen des Snapchat-Adventskalenders kommen konnte. Da in ihrem Heimatdorf der erste meiner zwei Gottesdienste lag, konnte ich die direkt danach zum zweiten Gottesdienst im Nachbardorf mitnehmen – denn direkt im Anschluß fand das Nachtreffen statt. Halbernst schlug ich ihr vor, dass sie doch die Lesung machen könne, dann müsste sie im Gottesdienst nicht ganz so passiv sein. Unsere Kommunikation lief teils über eine Whatsapp-Gruppe, weswegen sich kurze Zeit später ein weiterer Jugendlicher meldete und beim Gottesdienst mitmachen wollte. Nach zwei weiteren Stunden waren wir zu viert und es wurde beschlossen die Lesung zu visualisieren (erste Idee: Legofiguren). Da die Perikopenreihen ja eher Richtlinien als Regeln sind, machte ich das Evangelium zum Predigt- und Lesungstext und so hatten wir das wunderbare Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg zum Bearbeiten.

Bezahlung der Tagelöhner
Bezahlung der Tagelöhner

Zufällig hatte ich ein paar biblische Figuren herumliegen, die dann von den Jugendlichen als Arbeitsgeräte gewählt wurden. Dazu eine Softbox, die wir schon für den Snapchat-Adventskalender genutzt hatten und ein Smartphone mit einigermaßen guter Kamera und fertig war eine Arbeitsgrundlage. Als wir dann zusammen saßen um die Bilder zu machen, wollten die Jugendlichen plötzlich mehr: Ja, warum nicht gleich den ganzen Gottesdienst planen! Sie suchten eifrig Lieder aus, wählten Psalm und Glaubensbekenntnis aus und gaben sich selbst Aufgaben im Gottesdienst. Die Fürbitten wurden einem nicht anwesenden Konfirmanden aufgetragen und mir blieb am Ende nur noch die Predigt und einige Kleinigkeiten.

Die beste Gelegenheit für diesen Gottesdienst bot sich allerdings, als am Freitag vorher Melina Sophie auf Snapchat folgendes Statement brachte:

Leb einfach dein Leben. Gönn vor allem anderen Menschen was! Ich versteh nicht, warum so viele das nicht können. Und mach das beste aus deinem eigene Leben.

melina
Leb‘ einfach dein Leben🎉❤
A video posted by Melinas Snaps👻 [ 9,8k😍 ] (@melinasophie.snapchat) on Jan 22, 2016 at 5:04am PST

Leider wusste ich nicht früh genug von Melinas Snaps auf Instagram und zusätzlich zickte meine Screenrecording-App rum (und mein jugendlicher Präsentationsbauer hatte keine Zeit mehr). Deshalb blieb es leider bei einem mündlichen Zitat an der Stelle in der Predigt wo es um den Neid der ersten Arbeiter ging, die nicht mehr als die letzten bekommen. Die Blicke der Konfirmanden, als ich Melinas Namen nannte waren einfach grandios. 😄

Quintessenz: Gelegenheit trotz etwa 3 Stunden mehr Arbeit beim Schopf gepackt, 4 Jugendlichen den Spaß am Gottesdienst machen beigebracht (oder vertieft), 4 Jugendlichen etwas zugetraut und ihnen Vertrauen geschenkt, diverse ganz neue Konfirmanden einen Gottesdienst gezeigt, der etwas mit ihrem Leben zu tun hatte, normalen Gottesdienstbesuchern einen fast normalen Gottesdienst geboten (ok, mit Leinwand und ein paar mehr Akteuren, aber sie waren trotzdem zufrieden), 4 Kirchenälteste glücklich gemacht, weil sie wegen der vielen Besucher mehr Stühle aufstellen mussten als geplant (Werbung durch die Jugendlichen + Werbung auf Facebook + ganz neue Konfi-Generation),…

Geplant war ein ganz normaler Gottesdienst… Sowas kann man sicherlich nicht jeden Sonntag machen, aber einmal im Monat bestimmt. Traut euren Jugendlichen etwas zu, dann haben die ihren Spaß und ihr auch. Gleichzeitig kommt eure Botschaft viel besser rüber, weil sie von fast Gleichaltrigen kommt – oder von den Kindern, oder den Enkeln.

Ein dickes Dankeschön an meine Jugendlichen, meine Vikariatsgemeinde (die so viele Experimente von mir aushält und auch noch gut findet) und Melina Sophie, die hiervon vermutlich nie etwas erfährt 😉. Nunja, wenn man große Theologen zitiert, erfahren die es ja auch nicht… 😜

Und bei euch so? Schnappt ihr euch dieGelegenheiten oder lasst ihr sie ziehen? Welche Gründe habt ihr für das eine oder das andere? Oder habt ihr gar kein Klima für Gelegenheiten? Oder keine Zeit? Lasst es mich wissen! Und habt immer den Mut zu experimentieren, denn das gehört zum Wesen der Kirche! (nach Ralf Kötter, Das Land ist hell und weit)